Interkulturelle Familien in familienrechtlichen Verfahren

Von: Dieter Stösser, Dr. med., Leitender Arzt beim KJPD Münsterlingen (TG) – Fachstelle Gutachten und Jugendforensik und Michael Karle, Dr. med., Leitender Oberarzt an der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter an der Universität Tübingen – Deutschland

Stichwörter: Interkulturelle Familien, Familienrecht, Begutachtung, Eltern-Kind-Beziehung, Bindung, Entfremdung, Entführungsgefahr und -ängste, Migration, internationale Abkommen, HKÜ, HKsÜ, ESÜ, Brüssel IIa-VO, Kooperation, Gutachter, internationale Zuständigkeit, Gerichte, Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB)

Zusammenfassung: Bei sich trennenden interkulturellen Familien stellt sich oft die Frage, ob ein Elternteil mit den Kindern in sein Heimatland zurückkehren will. Entführungsängste und Entführungsgefahr spielen bei interkulturellen Paaren sehr häufig eine Rolle. In einer retrospektiven Analyse von insgesamt 80 an der Universität Tübingen (D) erstellten Sachverständigengutachten wurden Unterschiede in der Bedeutung der Herkunftsfamilien und der Gefahr einer Kindesentführung zwischen interkulturellen und deutschen Familien herausgearbeitet. Die Entscheidungsträger bei Gerichten und KESB sehen sich sehr komplexen Fragestellungen gegenüber, welche breite, interdisziplinäre Fachkompetenz, Erfahrung und Verständnis für individuelle, familiäre, kulturelle, psychodynamische sowie systemische Aspekte benötigen. Nur mit einem fachübergreifenden Zusammenspiel der Kompetenzen können Entscheidungen getroffen werden, die diesen Anforderungen und den in internationalen Abkommen formulierten Zielsetzungen gerecht werden. Eine Fallvignette soll illustrieren, wie eine Mitnahme bzw. «empfundene» Entführung (nicht im streng juristischen Sinne) eines Kindes in die Schweiz und die resultierenden behördlich-juristischen Abklärungen und Interventionen zu einem komplexen und langwierigen Verlauf führten.

    FamPra 2/2014 Seite 373 ff.   www.zeitschriften.recht.ch