Kindesschutzmassnahmen im «niederschwelligen» Bereich – Möglichkeiten und Grenzen

Von: Simone Gerber, lic. iur., Vizepräsidentin Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Region Solothurn

Stichwörter: Adressaten, Arbeit im Zwangskontext, Autopoiesis, Controlling/Monitoring, Ermahnung, Erziehungsaufsicht, Formulierung von Aufträgen, Geeignete Massnahmen nach Art. 307 Abs. 1 ZGB, Grenzen niederschwelliger Kindesschutzmassnahmen, Kindeswohlgefährdung, Konstruktivismus, Niederschwellige Kindesschutzmassnahmen, Weisungen, Subsidiarität, Systemtheorie, Vollstreckung

Zusammenfassung: Auch bei Kindesschutzmassnahmen niederschwelliger Art muss sorgfältig geprüft werden, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Wird sie verneint, sind auch leichte Eingriffe nicht zulässig.

Im Bereich der niederschwelligen Interventionen ist Kreativität gefragt. Treffender als Wider und Pfister-Wiederkehr kann man es nicht ausdrücken, indem diese anregen, sich «bei hohem Seegang», also in konflikthaften oder sonstigen schwierigen Situationen im Kindesschutz am «Kinder-Leuchtturm» zu orientieren: «Alles, was zu einer konfliktarmen Lösung für das Kind beiträgt, geht in die richtige Richtung». Die anordnende Behörde hat gerade aufgrund dieser geforderten Kreativität sorgfältig abzuwägen, ob die herangezogene gesetzliche Grundlage für die geplante Anordnung genügt. Vermeintlich «niederschwellige» Massnahmen können ansonsten schnell äusserst einschneidend werden. Zulässig sind nur Massnahmen, die sich direkt am Kind orientieren und bei den Eltern im Bereich ihrer Aufsichts- und Erziehungspflicht angesiedelt sind. Die Autopoiesis ist zugleich Chance und Grenze von niederschwelligen Kindesschutzmassnahmen: Chance in dem Sinne, dass die Fähigkeit des Systems (die Offenheit der strukturellen Rückkoppelung) genutzt werden kann. «Beeinflussung» ist demnach auch im Zwangskontext möglich; Grenze in dem Sinne, dass nicht gezielt beeinflusst werden kann. Letztendlich entscheiden die Betroffenen, was sie aus den Massnahmen machen.

Dabei ist es sinnvoll, wenn möglich den Fokus auf diejenigen zu lenken, die bereit sind, an einem Problem zu arbeiten. Bestenfalls finden die Betroffenen systemimmanente Lösungen, die selbst dem kreativsten Sozialarbeitenden nicht eingefallen wären. Schlimmstenfalls müssen jedoch stärker eingreifende Kindesschutzmassnahmen zum Zuge kommen, sollte die Gefährdung nicht in genügender Weise behoben werden können.

Besonderes Augenmerk ist auf die Formulierung von niederschwelligen Massnahmen bzw. von Aufträgen im Allgemeinen zu legen. Sind sich die Betroffenen durch ungenaue Formulierungen nicht im Klaren, was von ihnen konkret erwartet wird, wird ihnen dies oft vorschnell und fälschlicherweise als mangelnde Kooperation ausgelegt. Stattdessen müssten die involvierten Fachpersonen das bestehende Kommunikationsproblem erkennen.

Niederschwellige Kindesschutzmassnahmen machen nur Sinn, wenn sie auch überwacht und wo nötig angepasst oder wieder aufgehoben werden. Die KESB ist in dieser Hinsicht als anordnende Behörde in der Pflicht, eine Art Monitoring zu gewährleisten. Nötigenfalls muss sie selber diesen operativen Teil – zumindest im Sinne einer Überprüfung nach einer bestimmten Zeit – sicherstellen. Zwangsweise vollstreckbar sind niederschwellige Massnahmen in aller Regel nicht. Hingegen kann sehr wohl mit psychologischen und sozialarbeiterischen Methoden im Zwangskontext eine erfolgreiche Umsetzung gelingen.

 

ZKE 4/2019, S. 275 ff.