Pränataler Kindesschutz - (K)eine Lösung bei vorgeburtlichen Gefährdungslagen?

Von: Andrea Büchler, Prof. Dr., Professorin an der Universität Zürich und Sandro Clausen, lic. iur., Rechtsanwalt, wissenschaftlicher Assistent an der Universität Zürich

Stichwörter: Recht auf Leben, Menschenwürde, ungeborenes Leben, Schwangerschaft, pränatale Gefährdung, persönliche Freiheit, Selbstbestimmung, Autonomie, Beginn der Persönlichkeit, Kindeswohl, elterliche Sorge, Kindesschutz, Erwachsenenschutz, Unterstützungs- und Hilfsmassnahmen.

Zusammenfassung: Die Schwangerschaft ist heute mit zahlreichen sozialen Normen und Erwartungshaltungen konfrontiert und wird zunehmend medizinisch begleitet. Diese Entwicklungen verändern die Wahrnehmung des rechtlichen Verhältnisses zwischen der schwangeren Frau und dem ungeborenen Kind. Im Vordergrund des Diskurses stehen das werdende Kind und der vorgeburtliche Schutz vor schädlichen Verhaltensweisen auch und vor allem der schwangeren Frau. Es sind Antworten zu finden auf Fragen, ob die schwangere Frau zum Schutz des ungeborenen Lebens zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet werden kann oder medizinische Massnahmen gegen ihren Willen zu dulden hat. Geforderte Verhaltens- oder Unterlassungsweisen beeinträchtigen die Lebensführung der schwangeren Frau und medizinische Eingriffe betreffen unmittelbar ihren eigenen Körper. Das zwangsläufig entstehende Spannungsfeld zwischen vorgeburtlichem Schutz des Kindes und den Autonomieansprüchen der werdenden Mutter wird im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wenig beleuchtet. Überwiegend nähert sich die Literatur der Problematik aus einer haftungsrechtlichen und damit rückblickenden Perspektive. Die vereinzelt erwogenen pränatalen Kindesschutzmassnahmen werden unter die Prämisse einer vorgeburtlichen Elternsorge oder zumindest einer vorgeburtlichen Fürsorgepflicht gestellt.

Der vorliegende Beitrag zeigt die dogmatischen und praktischen Schwierigkeiten vonpränatalem Kindesschutz auf und plädiert stattdessen dafür, vor allem den Schutz der schwangeren Frau in den Blick zu nehmen. Im Anschluss werden verschiedene Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten skizziert, anhand derer innerhalb des geltenden Rechtsrahmens auf vorgeburtliche Gefährdungslagen reagiert werden kann. Diese fokussieren bewusst auf die Autonomie und Verantwortung der schwangeren Frau und bringen damit zum Ausdruck, dass das Wohl des ungeborenen Lebens durch Massnahmen zum Wohl der schwangeren Frau am besten zu wahren ist.

 

FamPra 3/2018, S. 652 ff.