Praxis der KESB im Umgang mit Feststellungen des Kindesverhältnisses

Von: Dr. phil. Andreas Jud, Psychologe, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit / Tanja Mitrovic, M.A. Soziologie, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit

Prof. (FH) Dr. iur. Daniel Rosch, dipl. Sozialarbeiter FH, MAS Non-Profit-Management, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit

Stichwörter: Kindesschutz, Praxis KESB, Abstammungsverhältnis; Art. 309 aZGB, Herstellung des Kindesverhältnisses; Recht auf Kenntnis der Abstammung; Erziehungsbeistandschaft; Paternitätsbeistandschaft; Vaterschaftsfeststellung; soziale Elternschaft, biologische Elternschaft, genetische Elternschaft

Zusammenfassung: Eine Onlinebefragung von schweizweit 209 Mitarbeitenden in Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden erfasste im Auftrag des Bundesamts für Justiz die Praxis der Behörden bei der Herstellung des Kindsverhältnisses zum Vater. Nach Aufhebung des Art. 309 aZGB zeigt sich insgesamt ein einheitliches Vorgehen: Alle Befragten reagieren auf eine Geburtsmitteilung mit fehlender Vaterschaft, indem sie auf die Mutter zugehen bzw. ihr eine Frist für die Bekanntgabe des Vaters setzen. Betreffend das Vorgehen nach Fristablauf bei nicht festgestellter Vaterschaft spaltet sich die befragte Praxis weitestgehend in zwei Lager: Eine Hälfte würde eine Abklärung einleiten, die andere automatisch eine Beistandschaft errichten. Erfreulicherweise haben Aspekte wie die sexuelle Orientierung der Mutter, die nicht in einem Zusammenhang mit der Gefährdung des Kindeswohls stehen, keinen Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen eine Beistandschaft zur Feststellung der Vaterschaft. Überraschend ist das Ergebnis, dass bei einer sozioökonomisch bessergestellten Kindsmutter eher eine Beistandschaft errichtet würde. Aus der Zusammenfassung empirischer Ergebnisse zur Bedeutung der Kenntnis der eigenen Abstammung lässt sich ableiten, dass das Fehlen der Kenntnis derselben eine konkrete Gefährdung für die Identitätsfindung darstellen kann. Betroffen ist damit allerdings ein spezifischer Bereich der Persönlichkeitsentwicklung. Zentralere Gefährdungselemente mit potenziell umfangreichen Auswirkungen auf unterschiedlichen Ebenen sind Gewalt im Aufwachsen und ungünstige sozioökonomische Bedingungen. Es wird empfohlen, das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung von der Herstellung der rechtlichen Vaterschaft zu trennen und die Bedeutung der rechtlichen Vaterschaft bzw. Elternschaft zu überprüfen.

FamPra 3/2017 Seite 675 ff.

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